31.12.1859 Lilly Steven-Steinheil–LM

Mein langes Stillschweigen wird
Sie am Ende auf den Gedanken
gebracht haben, daß ich der Corres-
pondence schon überdrüßig gewor-
den, – dem ist aber nicht so, und
wird auch hoffentlich nie der Fall
sein, ich bin aber jetzt schon vier-
zehn Tage abwesend gewesen
bald in Saarela bald in der Stadt
um aber Ihnen zu schreiben, bedarf
ich des Alleinseins, und bin daher
heute nach Karhusuo gekommen
wo mich nichts stört und mei-
ne Gedanken in aller Ruhe
mit meinem lieben Freunde sich
beschäftigen können, ich habe
sie lange genug im Zaum halten
müßen, und muß ich ihnen
die Freiheit wenn auch auf einen
|2| Tag nur geben, denn morgen ward
ich schon wieder zur Stadt wo mei-
ne Maiko gegenwärtig ist, Pockus
ist in Saarela und Nicolay schon
seid einigen Tagen auf seinen
Brand Versicherungs Reisen. Ich
hab Ihnen so lange nicht geschrieben
daß ich gar nicht weiß womit an-
zufangen – doch ja – zuerst mit
meinem herzlichsten Dank für
die lieben überraschenden Weinachts
Gaben die ich am Dienstag Morgen
erhielt, denn ich war gerade bei den
Eltern, als Fritz die Paquet Anzeige
von der Post bekam, und war
meine Neugierde natürlich ebenso
groß wie bei andern Ewas Kindern
um bei der Eröffnung des Paquets
zugegen zu sein woher es mir
Fritz auch sogleich überließ da es
sich nicht anders hatte thun laßen,
trotz Ihrem Verbot nahm ich die
Geschencke nach Saarela mit und
haben die Kinder sich sehr über sie
gefreut. Maiko lief gleich mit ihren
|3| Puppen und Buche zu der GroßMama
(bei der sie jetzt sehr in Gunsten ist)
und repetirte unaufhörlich ”Oncel Lejo
laito Maicol. Nbsvårtytt: ja pallo pallo vavat”;
und Pocku hat die Katzen Geschichte
ganz besonders interißirt, er wollte
Ihnen auch morgen schreiben und
selbst danken, wozu ihn sogar
Mami aufforderte, also müßen
wohl die presente vor ihren Augen
Gnade gefunden haben. Jetzt
werden Sie sich wohl fragen ”wie
war denn die Mama mit ihren
presents zufrieden” ach, ganz
außerordentlich – dennoch muß
ich Sie schelten, haben Sie nicht
schon genug große Ausgabe für
sich gehabt – die Ihnen als mir
Sorge gemacht haben, und nun
vermehren Sie dieselben noch meinet-
wegen, ich weiß liebster Freund wie
gern Sie mir eine Freude machen
doch muß ich Sie bitten in dieser
Art nicht fortzufahren denn ich würde
mir ein Gewißen draus machen etwas
anzunehmen, die einzige Ausgabe die
|4| ich Ihnen gestatte, ist Ihr Portrait –
daß ich mit Sehnsucht erwarten; von
uns, werden Sie auch eins erhalten
sobaldes sich nur thun läßt.
Nun muß ich Ihnen wohl erzählen
wie ichstruket wirtillagt die FeierTage zugebracht.
Den Weinachts Abend waren wir in
Saarela und fuhren wir gar nicht
zur Stadt, indem das Wetter
so sehr schlecht war, dieses verstimm-
te mich wohl sehr, da ich mich in
diesem Kreise so fremd fühle, doch
der Kinder ihr fröhliches Jauchtzen
heiterte mich auf und freute es
mich daß meine Schwiegermutter
an meinem Kißen Gefallen hatte,
mir schenkte sie nichts, doch den
Kindern die große Kalesche die
in Karhusuo einmal so sehr Ihren
Beifall hatte, sie hat sich selbst ei-
nen sehr schönen Wagen bestellt
und braucht daher diesen nicht.
Von Nicolay erhielt ich was ich mir
schon längst gewünscht: einen
PlettOfen und Fenster Schirme, und ich
|5| schenkte ihm einen Papier Korb
Casche-nez und Pantoffeln.
Den Sonntag waren wir ebenfalls
in Saarela und am Montag fuhren
wir zur Stadt wo ich den Mor-
gen die Kirche und den Abend
den Ball besuchte auf Bitten
meiner Schwester die ohne mir
nicht hin wollte; und können
Sie sich denken, Ihre alte
Freundin hat sich bereden laßen
alles mitzutanzen ich hab wie
beßeßen mitgehopst, obgleich es
mir aber auch nicht einen Au-
genblick Vergnügen gewährt
doch hat ich einmal einem zuge-
sagt so mußt ich schon mittillagt Allen tan-
zen; das Einzige was mich amü-
sirte waren die vielen hübschen
Mädchen und innterißirte mich
Julie noch mehr als gewöhnlich.
Sie war hübsch, tanzte viel, und
schien heiter und vergnügt.
Als ich mit ihr zusammen traf
fragte sie mich ob ich ihre Bücher
beendigt worauf ich ihr sagte, daß

ich sie den folgenden Morgen selbst
bringen würde. Als ich am Dienstag
hinging empfing sie mich in ihrem
Zimmer, indem die Mutter nicht
zu Hause war, und waren wir
somit ganz allein. Als ich ihr die
Bücher überreichte so fragte ich Sie:
wie sie das von mir Überschickte
aufgenommen, und ob sie mir
nicht böse wäre, worauf sie mir
antwortete: im Gegentheil, ich bin
Dir sehr danckbahr gewesen; was
sagte man aber zu dem Mei-
nigen? Man war ebenfalls zu
frieden und wenigstens beruhigt.
Dann sagt ich ihr Ihre Äußerung
und Wuntillagtsch aus Ihrem letzten
Briefe. Sie schwieg eine Weile, darauf
sagte sie ”Wie sollte ich nicht heiter
sein, ich habe dem lieben Gott für
so Vieles zu danken daß es eine
Sünde wäre, wenn ich es nicht
wäre. Ich habe Ihnen unser Gespräch
wörtlich wiedergegeben und
wahrscheinlich ist es das Letzte
daß ich mit ihr über Sie geführt
|7| denn mich regt es auf wenn
ich diese Catastrophe berühre,
ich kann, selbst dem Scheine nach,
nicht so kalt – wie Julie – darüber
sprechen.–. Bald darauf kam
die Mutter die sehr theilneh-
mend nach Ihnen sichtillagt erkundigte –
viele Elogen über Sie machte, und
zuletzt meinte: daß wir einen
zweiten Mechelin nicht finden
würden. Sie wurden auf dem
Balle von mehreren jungen
Damen vermißt, doch sollen
Sie nicht glauben daß es Ihrer
Füße wegen war, denn Tänzer
waren dieses mal die Maße da.
Ich vermißte aber meinen Freund
doch wohl am meisten, und
darum werde ich einen öffent-
lichen Ball nicht so bald besuchen.
Viel lieber sitz ich den Abend zu
Hause nehm Ihr liebes Andencken
hervor, suche mir die liebsten
Gedichte heraus und vergegenwär-
tige mir die angenehme Zeit
wo sie mir von Ihnen vorgelesen wurden.

Ich bin diese Zeit ruhiger gewe-
sen denn nichts hat meine Ruhe
gestört. N: ist diese Zeit auch in
Saarela gewesen wo er mit dem
Meßen der Häuser sehr beschäf-
tigt gewesenstruket undtillagt wobei ihm der
junge Smirnoff behülflich gewesen.
Die beiden Geschwister sind rechte
Contraste denn sie, so lebhaft
bis zum Übermuth, und er,
ernst beinahe melancolisch. Er
bleibt bis Ende Januar hierstruket und
trifft wohl Eneberg noch hier an
da derselbe wohl kommen wird,
denn Sie haben nichts darüber
in Ihrem letzten Briefe erwähnt
Alexis hat bis jetzt bei Smirnoff
gelernt und beruhigt es mich daß
er nicht alles vergißt.
Ich kann schon jetzt sagen daß
er ganz aus dem elterlichen
Hause ist, denn Alle seine klei-
nen Habsehligkeiten sind schon hier
übergebracht und er selbst ist iststruket
einen Monat schon abwesend noch
hab ich es aber nicht so empfinden
können weil ich selbst 14 Tage weg gewesen.
|9| Eben wird geklopft und kommt
wohl Nicolay nach Hause daher
muß ich zum Schluß eilen
übrigens ist die Uhr auch 11
also unsere gewöhnliche Gute
Nachtstunde. Zuvor aber
will ich Ihnen noch ein
glückliches neues Jahr wün-
schen. Möchte es esstruket ein Glück-
licheres – als das Vergangene
sein und meinen theuren Freunde
in jeder Hinsicht nur Angenehmes
und Gutes spenden, ins besondere aber
wünsch ich Ihnen Gesundheit, dennstruket
an Leib und Seele, denn aus
ihr entsprießt Kraft, und frischer
Lebens Muth. Sie schreiben wohl
daß es Ihnen daran nicht fehlt –
doch trau ich dem Frieden nicht
ist auch der Schein da, so weiß ich
|10| doch, wie es mit dem Innern
meines armen Freundes beschaffen ist.–.
Und nun, ein herzliches Lebewohl,
mein theurer Freund. Aus vollem
Herzen sag ich Ihnen meinen
Dank für die warme Freundschaft
die Theilnehme die mir durch Ihnen
im verfloßenen Jahre zu Theil
geworden. Ein ernstes Bangen er-
greift mich wenn ich an das Zu-
künftige denke wo ich so allein mei-
nen Kummer meine Sorgen tragen muß
und nur die Hoffnung – daß Sie mir
auch fernertillagt ein treuer Freund bleiben und
mich hin und wieder durch Ihre herzli-
chen trostreichen Briefe erfreuen giebt
mir die Ruhe um mit Ergebung der
Zukunft entgegen zu gehen.
Nochmals ein Lebewohl von der fernen