26.5.1860 Lilly Steven-Steinheil–LM

Ja wohl, auch ich sage aus vollem
Herzen Gott sei Danck daß Sie
endlich Ihrer Feßeln entledigt, und
für einige Zeit wieder Herr Ihrer
Zeit sind; daß Ihre Studien so aus-
fallen würden – hab ich ja nie
bezweifelt – und ich wünschte
nur daß Ihre Befürchtungen die
Sie vielleicht für die Zukunft
noch hegen – sich immer als so
grundloos erweisen möchten, als
es diesmal der Fall gewesen.
Ich kann mir dencken, wie glück-
lich Ihr guten Eltern sind, daß
diese sorgenvolle Zeit für ihren
lieben Leo, endlich ein Ende
genommen, und mit welcher
Freude Sie in der lieben Heimath
wieder empfangen werden, hoffent-
|2| lich wird auch dieser Sommer,
ein angenehmerer und ruhigerer,
für Sie werden als der Vergan-
genjährige es gewesen. Wie wird
er wohl für mich ausfallen?
Mit Bangen denck ich daran so
manches mal denn mit mei-
ner Gesundheit steth es schlim,
ich habe nun wieder einen eben
so heftigen Paroxismus (meines
alten Übels) als im vergangenen
Frühjahr, es ist Ihnen wohl errinnerlich
durchgemacht; wie ich dabei leide
ist Ihnen ja bekannt – doch umso
weit mehr litt ich dieses mal,
denn ich war so allein – ich hatte
nicht – wie im vergangenen Jahr
meinen lieben Freund hier – der so
geduldig war mir vorzulesen und
mich zu zerstreuen. Wohl besuch-
te mich auch meine gute Mama
doch sie leidet selbst an der Gicht
und bat ich Sie daher ihre Gesundheit
zu schonen und bei einer so un-
günstigen Witterung ihren Besuch nicht
|3| zu wiederholen. Maiko ist den
ganzen Tag draußen eben so auch
Nicolay – und so war ich denn
nur auf mich und meine Gedan-
cken beschränckt; lesen konnt
ich nicht, denn ich war zu kranck,
und das Einzige was mich zer-
streute war die freundliche Aus-
sicht aus dem Fenster wo der
Garten unter den fleißigen
Händen der Arbeiter täglich
Fortschritte machte. Seid Mon-
tag geh ich wieder, doch darf ich
noch nicht viel an anstruket der
Luft sein, und werde ich wohl
die Pfingst Feier Tage alleine
zu Hause sitzen, denn Nicolay
fährt nach Ristseppälä und meine
Schwiegermutter macht eine Lust-
tour nach Willmanstrand
mit Alexandra und Pockus vielleicht
auch Eneberg dem sie aber noch
nichts davon gesagt daher ihm
Nicolay vorschlug mit ihm zu
Grotenfelts zu fahren, impfall
|4| er nicht mitgenommen wird.
Jetzt bin ich nicht mehr traurig
wenn ich auch alleintillagt bleibe, Ihr ges-
triger lieber Brief hatt alle die
trüben Gedancken verscheucht;
mich erwartet ja eine große
Freude, schon so bald kann ich
hoffen Sie wiederzusehen. Gott
gebe – daß ich dann doch gesund
würde denn nur dann kann
ich so recht von Herzen Ihre
liebe Gegenwart genießen.
Ich fürchte nur daß Sie mir
oft untreu werden denn wahr-
scheinlich ist zur selben Zeit die
Hochzeit bei A: die ich schwerlich
mit machen werde – wohl aber
Sie – doch dann nehme ich re-
vange und laßenstruket Sie nicht so bald
weg wie Sie sich vorgenommen;
Ihren guten Eltern werden mir
wohl deshalb nicht böse sein –
sie haben ja die Freude den gan-
zen Sommer ihr Söhnchen um sich zu
sehen; jedenfalls müßen Sie sie auf
diese Verlängerung vorbereiten.

Wißen Sie welch eine naive
Bemerckung Maiken machte, als
ich ihr erzählte daß der Oncel Leo
bald käme – sie sagte ”ja, oncel Leo on
Maikon Sulhane, hä tulloki friama
Maiko” sie muß wohl dieses
von den Leuten gehört haben
und spricht es nun in aller Unschuld
nach. Ja, ich wäre wohl sehr glücklich
einst solch einen Schwiegersohn zu
besitzen, so wie ich ebenfalls glaube
daß Derjenige nicht zu bedauern
ist dem einst Maiko gehören soll.
Gott gebe daß das liebe Kind nur
fortfährt sich so in jeder Hinsicht
zu entwickeln dann kann
man hoffen daß sie ein reizendes
und liebes Mädchen wird. Es ist
wohl närrisch eine Mutter ihr
Kind so loben zu hören doch ich
entschuldige mich damit daß es
einer Mutter zu verzeitillagthen ist
wenn sie sieth wie Alle ihr Kind
vergöttern. Es ist sonderbar für
Pocku fühl ich nicht mehr daßelbe als
|6| früher, es scheint mir immer
als wenn er nicht mehr mein Kind
wäre seitdem er zu der Groß-
mutter gekommen, ich glaub es ist
eine Art Eifersucht die sich trotz
meinem Willen bei mir eingeschli-
chen und die durch Pocku seine Kälte
wohl Nahrung bekommen. Oft und
viel hab ich darüber nachgedacht
mich über mich selbst geschämt
und geärgert – und dennoch ist
es nicht beßer geworden; nun sind
Sie wieder, wie immer, meine
Zuflucht, denn ich hoffe daß Sie
als unser beider Freund, mit Er-
mahnungen und Vorstellungen
die erkalteten Gefühle wieder
ins alte Gleis bringen können.
Was werden Sie wohl jetzt von
mir dencken – doch versetzen
Sie sich in meine Lage – und
Sie werden mich verstehen.
Warum hab ich dieses alles hin-
geschrieben ich hätte es ja bis zum
mündlichen aufbewahren können
|7| ich habe da wahrlich einen hüb-
schen PromotionsBrief verfaßt
doch so geth es mir immer, ich
folge immer dem ersten Impuls
und begehe dann oft eine Thor-
heit die nicht mehr zu repariren ist
daher muß denn auch obiges stehen
bleiben so sehr es mich auch ver-
drießt, Sie werden hoffentlich in
Ihrer Freude es nicht so ernst
nehmen, und mich als Freund
nachsichtiger beurtheilen.
Wie gerne möchte ich Ihnen nun
etwas erheiterndes angenehmes
mittheilen doch damit kann ich
leider nie oder selten aufwarten.
Niemand hab ich gesehen außer
Madame Lado die mich ein paar
mal besucht hat, und die mir
ebenfalls nichts neues mittzuthei-
len hat da sie durch ihre Kinder
an ihr Haus gefeßelt ist.
Eine Freude hab ich doch gehabt
ich hab Briefe erhalten sowohl
D: Rinne als Fräulein Masing haben
|8| mir geschrieben, beide sehr theil-
nehmend und, herzlich. Ersterer
ertheilt sehr diplomatisch seine
Rathschläge betreffend eine Khur
für den Sommer die ich eben
so diplomatisch Steven mittheilte
der sie zu meiner Freude billigte
und receptirte, und die in einer
künstlichen Brunnen als BadeKhur besteth.
Meine Freundin wird wieder nach Hab-
sal und freut sich mich dort wiederzu-
sehen denn sie weiß es noch nicht
daß ich nicht hin werde, ich will
aber jetzt die FeierTage zum Beant-
worten der Briefe benutzen daß
ist für mich immer die liebste Zer-
streuung besonders, wenn der Brief,
Helsingfors gilt. Und nun punc-
tum ich glaub es geth mit ebenso
wie Ihnen: wo das Wiedersehen
so nahe da vergißt man das schreiben.
Und nun leben Sie wohl in Gedan-
cken feire ich mit Ihnen Ihr glückli-
ches Fest und wünsche von Herzen das
nichts dieses heitere und doch so ernste Fest
trüben möchte; emphelen Sie freundlichst
Ihrem Herrn Vater als Emilie Ihre treue Freundinn